| Krystian Woznicki on Wed, 26 Jun 2002 15:32:09 +0200 (CEST) |
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| [rohrpost] Fwd:Die Kraft der Negation, 29./30.6., Koeln/BLN |
Köln/ Berlin
Theater der Welt und Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Die Kraft der Negation
Thematisches Wochenende
Kuratiert von Diedrich Diederichsen
29.6. + 30.6.2002, Berlin, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
__________________________________________________________________________
Programm (Stand: 24.6.02, Änderungen vorbehalten)
Samstag, 29. Juni 2002
Großes Haus
20:00 Begrüßung und Einführung
Carl Hegemann
20:30 De Rijke / De Rooij: "Bantar Gebang", NL 2000, 35 mm, OF,10 min.
21:00 René Pollesch: "They Live! NOT", Sprechtext, mit Astrid Meyerfeldt
21:30 Stephen Prina: "Vinyl II", USA 2000, 16 mm, OF, 21 min.
22:00 "Negative Ästhetik gegen Ästhetik der Zerstörung"
Vortrag von Stephen Prina
22:30 Diskussion mit Stephen Prina, Holger Schulze, Mercedes Bunz, Clemens
Krümmel und Christoph Gurk
24:00 Black Dice, Konzert
Roter Salon
"Die lange Nacht des negativen Films"
20:00 Robert Aldrich: "Kiss Me Deadly", USA 1955, 35 mm, OF, 105 min.
22:00 Kaneto Shindo: "Onibaba (Die Töterinnen) ", JP 1965, 35 mm, DF, 100 min.
24:00 Danielle Huillet / Jean-Marie Straub: "Nicht versöhnt", BRD 1965, 16
mm, OF, 55 min.
01:00 Robert Bresson: "Le diable probablement (Der Teufel,
möglicherweise)", F 1976, 35 mm, OmU, 96 min.
03:00 George A. Romero: "Night Of The Living Dead", USA 1968, 16 mm., OF,
96 min.
Sternfoyer
22:00 Shitkatapult-Foyer im Stern mit dem Kyborg-DJ-System
Garderobe im Sternfoyer
ab 20:00 Theodor W. Adorno und das nihil relativum ? eine Videoinstallation
Sonntag, 30. Juni 2002
Großes Haus
17:00 Bernadette Corporation: "Get rid of yourself"
Ein Kommuniqué über Bürgerkriegsmode an die verlorene Jugend des Empire
18:15 Stephan Geene / Judith Hopf: "Low Dunkel"
Eine Inszenierung von filmischen und anderen Elementen über Gewalt, Nein
und Zwischenformen des Lebendigen
19:30 Filme von Bas Jan Ader
"Fall 1, Los Angeles", 1970, "Fall 2", Amsterdam, 1970, "Broken Fall
(Geometric), Westkapelle, Holland", 1971, "Broken Fall (Organic),
Amsterdamse Bos, Holland", 1971, "I'm too sad to tell you", 1971und
"Nightfall", 1971, alle 16 mm
20:00 "Position und Negation"
Vorträge von Diedrich Diederichsen und Mark Siemons
21:30 Diskussion mit Diedrich Diederichsen, Mark Siemons, Rahel Jäggi,
Carolin Emcke und Andreas Fanizadeh
23:00 Zeitkratzer spielen negative Musik von Throbbing Gristle, Helmut
Lachenmann, Terre Thaemlitz und Lou Reed (»Metal Machine Music«)
Sternfoyer
ab 17:00 Lounge und Bücherstände
Garderobe im Sternfoyer
ab 17:00 Videoprogramm
Rolle 1:
Angela Melitopoulos "Passing Drama", 1998, Video, 66 min.; Bojan Sarcevic
"Remise",1997, Video, 2,3 min.; Gintaras Makarevicius "Das Grab", 2000,
Video, 45 min.
Rolle 2:
Stephan Geene "No logo tv", 3 min.; Eva von Platen "Luxus", 1995, 16 mm, 25
min.; Judith Hopf "Hey Produktion", 2001, Video, 7 min., "Bartleby", 1999,
Video, 21 min., "Lebendes Geld", 1996, Video, 12 min.
An beiden Tagen im gesamten Haus
Sämtliche Auslandseinsätze der USA seit dem Golfkrieg: "Intervention" ?
eine Zeit-Installation von Ekkehard Ehlers, Nikolaus Hirsch, Michel Müller
und Markus Weisbeck
---
Die Kraft der Negation
Thematisches Wochenende
Kurator: Diedrich Diederichsen
Nicht nur vor jeder Politisierung steht eine Negation. Ich will so nicht
leben. Es muß eine Negation sein, denn sie lehnt das Gegebene zunächst ja
ab, ohne etwas Anderes zu kennen. An dieser Stelle ist auch noch nicht
unterscheidbar, ob die Negation eine Option auf das Unbekannte darstellt
oder die bestimmte Ablehnung des Vorgefundenen und sozusagen negativ auf
dieses fixiert bleibt. Risiko und Potenzial versus Widerstand und Genörgel,
Unternehmer, Revolutionär und Bürokrat - eng beieinander. Sehr viel später
wollen dann einige, mal mehr, mal wenige auch nicht alleine so nicht leben,
dann beginnt die Politisierung tatsächlich, aber das ist wie gesagt viel
später.
Heute scheint es jedenfalls manchmal so, als ob wir nach der
Politisierung leben und von ihr nichts mehr übrig geblieben ist als die
Negation - jener ebenso unzuverlässige wie vielversprechende Akt, an den
sich auch Imperien gerne als Geburtsstunde erinnern und den Spielfilme zu
verklären lieben. Zumindest gilt dies für die sichtbarsten Formen von
oppositioneller Politik. Deren letzte Gewißheit scheint das Nein zu sein,
ein Nein, das vom Nein zum Logo bis zum Nein zu Deutschland reicht und auf
Bewegungen verweisen kann, die in erster Linie als Gegner von etwas
definiert werden oder sich selber definieren. Der Grund, auf dem man steht,
die Werte und Ziele, von denen aus man operiert, scheinen keine Rolle mehr
zu spielen, entscheidend ist nur noch, daß man überhaupt Gegnerschaft
artikuliert.
Nun ist dieses "thematische Wochenende" eine der Gelegenheiten,
an denen man sich vornimmt Kunst und Politik einander begegnen zu lassen.
Und natürlich liegt heutzutage auf solchen Unternehmen auch immer der
Schatten des Problems, daß sie dies offensichtlich nicht von alleine tun.
Implizit sind bei der Planung solcher Begegnungen natürlich auch alle
möglichen ungeklärten Vorstellungen davon intakt, was Kunst und Politik für
sich genommen seien, die man unter anderen Umständen lieber nicht vertreten
würde. Andererseits hat auch die Denkfigur viel Unheil angerichtet, die aus
der Unzufriedenheit über die traditionellen "bürgerlichen" Begriffe von
Kunst und Politik, in undialektischer Umkehrung einfach meinte, mit Gewalt
beide in eins setzen zu können - als Modell einer politischen Kunst ebenso
problematisch und folgenreich wie als Modell eines künstlerisch-politischen
situationisischen Lebens.
Ich erwähne aber diese zugrundeliegende Idee (oder auch
Konvention) einer Konfrontation der Pole Kunst und Politik, weil gerade
deren Binarismus viel über den Zustand der Negation verrät. Die Negation
war früher - und mit früher ist das vergangene Jahrhundert und seine
Avantgarden gemeint - die zentrale transgressive Geste der Kunst, ihre
präferierte Passage in die Politik oder in andere vermeintlich oder
tatsächlich wesentlichere und existenziellere Regionen, auf die sie in
traditionelleren Versionen nur zu zeigen verdammt war. Dabei brachte die
Kunst einen Vorteil mit: sie war attraktiver als reine, nur entschieden
oppositionelle Politik, gerade weil sie sich nicht auf Werte und Konsense,
auf taktische und strategische Absprachen und Vernunftgründe beziehen und
demzufolge beschränken mußte. Die Negationsgeste aus der Kunst überschritt
idealiter nicht nur die Kunst zur Wirklichkeit der Politik hin, sondern
machte auch politisch artikulierbar, was die richtige Politik, auch die
radikale mit Rücksicht auf den Zusammenhalt der Partei oder der Gruppe, mit
Rücksicht auf Phasen und Perioden des in den Blick genommenen historischen
Auftrag und aus anderen Gründen nicht sagen konnte. Das war der große
Vorteil der Negation aus der Kunst für die Politik. Ihr Nachteil steckt
sicher in Tony Conrads Bemerkung, daß jede große Transgression einen
progressiven und einen faschistischen Weg eröffnen könne.
Für die Kunst selbst ermöglichte die Negation dennoch die oft
stabile Grundlage führender und zentraler Kunstphilosophien. Dabei kann man
sicher unterscheiden:
? zwischen einerseits der letzten Wahrheit der Kunst in der
Negation, wie sie die kritische Theorie formulierte. Nur einer um den Preis
des Elitären in einer formalen Strenge sich entfaltenden Kunst wird eine
solche Möglichkeit zugestanden, wenn sie in rigoroser Verneinung
jeder *Anschlußfähigkeit" und anderer Instrumentalisierungen ihren eigenen
nicht gesellschaftsfähigen Gesetzen folgt:"bestimmte Negation (s)eines
Inhalts wird zum Formprinzip und zur Negation von Inhalt überhaupt".
? und andererseits der aggressiv-destruktiven Negation der
Kunst in manchen Avantgardemodellen, aber auch in der Rock-Kultur, von den
MC 5 über Punk und Industrial bis zu Phänomenen wie Merzbow und der
japanischen Noise-Kultur andererseits. In diesem Modell kommen die
Potenziale einer massenhaft mobilisierten Negation kulturindustrieller
Versöhnungsvorschläge mit eher an futuristisch-faschistsiche Entfesselungen
erinnernde Energien zusammen. Beide Modelle haben Traditionen gebildet und
sind nach wie vor hier und dort im Einsatz und werden weiterhin womöglich
gar produktiv modifiziert.
Dennoch scheint es heute so, daß gerade was jetzt als avanciert
gilt, sich nicht mehr an den beiden Modellen abarbeitet, weder am
destruktiven noch am negativen im kritischen Sinne. Ob aus Desillusion oder
Gedächtnisverlust, Kunst hat heute mehrheitlich keine Probleme mehr damit,
wieder zu erbauen und zu dekorieren - und wenn dies im traditionell
kritischen Modus der Selbstreflexivität geschieht. Wieder sieht man aber
auch, wie zuletzt vor vierzig, fünfzig Jahren überall die vor allem stillen
oder lakonischen jungen Männer, die den Künsten und der Kultur bei diesen
Tätigkeiten zuschauen und ratlos die Mantelkragen hochschlagen und nach
existenzielleren Alternativen suchen. Eine Retrospektive des Films der 60er
Jahre auf der letzten Berlinale zeigte genau dieselben sprachlosen Jungs,
die der allerneuste Film und das Fernsehspiel produziert: prä- und
bestenfalls proto-politische Resignation, Negation. Wenig Frauen treten
auf, wenige der politischen Realitäten zugewandte Aggression geben sich zu
erkennen, es herrscht eher die dumpf ruhige Unzufriedenheit vor dem Sturm
oder unter der Oberfläche der spektakulären Ströme der Ereignisse.
Nur zu oft sucht sich diese Gemenegelage als Maß ihrer Unruhe
wie als historisches Material die RAF. Filme so unterschiedlicher Qualität
wie "Black Box BRD", "Die innere Sicherheit" oder "Baader", diverse
Theaterstücke, Songtexte und Projekte der Bildenden Kunst arbeiten sich
weiter an der RAF und immer öfter an der zusehends existenzialistischer
gestellten Frage ab, wo wäre ich damals gewesen, wo wäre für mich ein Platz
in einer Politik, die wirklich radikal war. Dieser Fluchtpunkt liegt im
Fokus einer doppelten Verkennung, die durchaus an die andere
*Vergangeheitsbewältigung" der Deutschen erinnert. Sie ist nicht nur
deswegen so oft schief, weil sie eine lokale Episode der neuen Linken in
einer ähnlichen Tonlage bearbeitet wie sie in der deutschen
Nachkriegsgeschichte für die Beschäftigung mit der deutschen Schuld an
jener Zäsur der Menschheitsgeschichte sich herausgebildet hat, die die
ganze Welt mit den deutschen Verbrechen zwischen 33 und 45 verbindet. Diese
Projektion abwesender politischer Orientierungen, überblendet mit
zeitgenössischen existenziellen Nöten, auf ein der Geschichte der RAF
abgelauschtes Script, in dem individuelle Entscheidungen und von Innen her
gewählte Wege als politisch ausgegeben werden, wirft einen Mantel
romantischen Heroismus über die ungeklärte Unlust an einer politischen
Selbstlokalisierung heutiger Radikalität. Der Schatten der RAF als - je und
je - andere Seite der deutschen Nazi-Vergangenheit wie heutiger sogenannter
Politik-Verdrossenheit verengt die Reflexion aktueller Politik auf große
wichtige und tragische Gesten mit dem Risiko von Schuld und heroischen
Scheitern, die so unangemessen wie irreführend ist.
Gleichwohl ist dem Problem nicht dadurch beizukommen, daß man
sich über es lustig macht. Ein Zugang zu Politik jenseits von Verwaltung
dessen, was nach Maß eben der Verwaltenden und Profiteure praktikabel sei,
bedarf vielleicht grundsätzlich eines affektiven Zugangs. Wo dieser sich
nicht - wie zuweilen in den 90er gehofft - aus minderheitenpolitischen
Issues ergeben konnte, blieb die große Negation das schöne Modell, das
nicht mehr zur Hand war. Oder war es das doch? Man wußte schließlich daß
die Gegenkulturen der 60er bis in die 80er, also politische
Zusammenhänge,die um vieles größer und reicher waren als es die
Tunnelblickfixierung auf die RAF erscheinen läßt, sich in dem Moment auf
eine bis zu einem gewissen Grade (und für ihre politische Seite notwendige)
vereinheitlichende Negation der Verhältnisse einigen konnte, als Krieg
geführt wurde - als in Vietnam (und dann über die Konstruktion des
Imperialismus vermittelt: in der ganzen Welt) von ihren Regierungen, ihren
Kulturen und ihren Vätern Krieg geführt wurde. (Hier ist nicht Platz, auf
die Besonderheiten der deutschen Gegenkulturellen eingehen zu wollen, die
erst diesen Krieg brauchten, um sich auf den Krieg zu beziehen, den ihre
eigenen Väter zwanzig Jahre früher geführt haben.)
Heute wundert man sich immer wieder, daß die letzten Kriege der
Neuen Welt Ordnung entsprechende Empörungen und Negationen nicht
herbeimobilisiert haben: es war nicht so leicht, diese Kriege zu
kritisieren. Sie folgten keinem bekannten Modell und verlangten die
spezifische Auseinandersetzung. Natürlich war es möglich, sie pazifistisch
begründet abzulehnen. Oder man konnte sie politisch kritisieren, indem man
sozusagen die offiziellen Kriegsziele mehr oder weniger anerkannte und den
Kriegen absprach, geeignete Mittel zum Erreichen dieser Ziele zu sein, sei
es moralisch ungeeignet, sei es pragmatisch ungeeignet. Unmöglich war und
ist es aber, über diese Kritik hinausgehend den archimedischen Punkt jeder
negativen Mobilisierung zu erreichen, den aber doch fast die Hälfte der
Vietnamkriegsgegner in de 60ern und 70ern einnehmen konnten: das
Sympathisieren mit der Gegenseite. Ho Ho Ho Tschi Minh.
Es scheint, daß die große Negation heutzutage nur zu haben ist,
wenn man sich auf die ganz andere Seite stellt, jenseits der Binarität,
auch der gerade neu wiederaufgebauten zwischen Abendland und Orient, auf
die Seite jenseits des Systems - aber nicht mehr von einem anderen Ort aus,
nicht mehr von irgendeiner benennbaren politisch-philosophischen Idee aus,
sondern in dem reinen Wünschen, daß es ein Jenseits einer Ordnung gibt, die
so rigide ist, daß alle großen Fragen im Sinne eines globalen Kapitalismus
entschieden zu sein scheinen, und gleichzeitig so dereguliert, daß nichts
gesichert und kein Recht garantiert ist, daß es ein solches Jenseits geben
muß. Vielleicht als reines Potenzial.
Das war in etwa der Stand von Genua, als die Idee für diese
Veranstaltung entstand: Mein Fazit lautete damals ungefähr: es scheint
nicht mehr möglich zu sein, politische Opposition im Namen von etwas zu
denken. Sie scheint nur noch absolut und gerade im Zeitalter von Rot-Grün
am Nadir der Realpolitik möglich. Gleichzeitig scheint die Kunst, die wir
kennen, den transzendenten Ort der Radikalität, den sie solange beansprucht
zugunsten von aufklärerischer und realpolitischer Projektarbeit aufgegeben
zu haben. In gewissen Sinne haben beide Praktiken die Seite gewechselt.
Früher hat die organisierte, aber auch die spontane oppositionelle Politik
stets versucht, die Kunst an die Kandarre eines Sinns, eines posotiven
Effekts zu nehmen, heute offerieren die Künste von alleine und ohne Not
diese Effekte: sei es als Sinn- und Image-Dekoration kapitalistischer
Projekte, sei es als sozialtechnisch engagierte, politisch anschlußfähige
Oppositionskunst. Die oppositionelle Politik hingegen nährt sich von der
absoluten Negation - sei es als unversöhnlicher Zorn wie im - nicht
folgenlosen - Mythos des schwarzen Block, sei es als nur von den
vorhandenen Erscheinungen bestimmte Organsisation der reinen Gegnerschaft.
Natürlich könnte man sagen, daß es egal ist, welche Aktivität
wir Kunst nennen und welche Politik, solange sie ihre spezifischen
Funktionen erfüllen - aber dem ist nicht so, denn mit diesen Namen sind
Ansprüche auf Geltungsbereiche verbunden, auf Modi von Ernsthaftigkeit und
schlißelich - und damit wären wir wieder am Anfang - die existenziellen
Fragestellungen, die auch dann, wenn man sie nicht als heroischen Kitsch
faßt, im Zentrum jeder sogenannten Bewegung stehen und die die taz bei
ihrem Kongreß auf die Frage brachte "Wie wollen Sie leben?". Es ist also
nicht unwichtig, daß die Mobilisierung gegen das globale Kapital, sofern
sie sich nicht auf die Traditionen einzelner und lokaler Issues beschränkt,
auf die reine Negation eines alles umfassenden und durchdringenden Prinzip
stützt, während die Kunst, die früher symbolisch alles und zwar sofort
fordern konnte, pragmatisch geworden ist.
Natürlich ist es auch nicht unwichtig und nicht nur ein Zeichen
verwirrten Künstlerirrsinns, daß so viele Stimmen hilflos von der
ästhetischen Dimension des 11.September sprechen wollten. Denn bevor der
Terror in die Planungen der "falschen Gegner" des Imperiums eingeordnet und
bald auch im Kalkül des Imperiums selbst eine nützliche Rolle zu spielen
begann, war die reine mörderische negative Tat nicht anders verständlich
als als Kunst: und dies zeigt, was reine ungegründete Negativität, eine
Politik, die nur noch wie Kunst ist oder sich zumindest so benimmt, indem
sie ihre Gründe nicht nennt, auch werden kann, zugespitzt beschrieben. In
dieser *Kunst" steckt dann kein fortschrittlicher Kern mehr, nur noch ein
faschistischer.
Schließlich gibt es aber auch eine neue müde gewordene
Verweigerung, die von der heutzutage von verschiedenen Seiten wieder
entdeckten Figur des Verweigerers Bartleby aus der gleichnamigen Erzählung
von Hermann Melville verkörpert wird. Sein berühmtes Credo "I prefer not
to" steht einerseits für ein Nein zu den Angeboten dieser so ausgemachten
Welt, andererseits verbittet sie sich auch die Zumutungen organisierter
Politik und kollektiven Widerstands. Genau so eine genervte Müdigkeit stand
jedoch auch am Anfang vieler historischer Politisierungsschübe. Rosa Parks,
die mit ihrer Weigerung einen für Weiße reservierten Platz in einem Bus
aufzugeben, die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung auslöste, war am
Anfang auch einfach nur zu müde, um Folge zu leisten. She preferred not to
und ein bescheidener Akt individueller Genervtheit gilt heute als
heroischer Beginn eines politischen Aufbegehrens.
Diedrich Diederichsen
---
Gäste des thematischen Wochenendes
„Der Buchstabe, der Akt des Schreibens, sie kennzeichnen, auf der
Schreibtafel des himmlischen Schreibens, den Übergang von der Potenz zum
Akt, der Verifizierung eines Kontigenten. Aber gerade deshalb kennzeichnet
jeder Buchstabe auch die Nicht-Verifizierung von etwas, er ist, in diesem
Sinn, immer toter Brief.“ (Giorgio Agamben in: „Bartleby oder die
Kontingenz gefolgt von Die absolute Immanenz“, Merve Verlag Berlin, 1998,
S. 69)
Bas Jan Aders 16mm Filme, zeigen ihn immer wieder beim Fallen: er fällt aus
einem Baum, in eine Gracht oder einfach um. Nach den Gründen für seine
Stürze befragt, antwortete er, die Schwerkraft würde ihn schlicht
überwältigen. Seine slapstickhaften Inszenierungen vom Scheitern werden
existentiell. Das in Aders konzeptionellen Arbeiten vorhandene Ideal der
Abstraktion und die darin enthaltene Sehnsucht nach Transzendenz weist er
als unerreichbar aus. Seit seinem Versuch, 1975 mit einem Segelboot den
Atlantik zu überqueren, ist Bas Jan Ader verschollen.
Bernadette Corporation operiert als fiktives Unternehmen seit 1995
innerhalb des entsubjektivierenden Systems kultureller Vermarktung. Bei der
Produktion ihrer Mode, Videos und der Zeitschrift „Made in USA" haben sie
die Position des individuellen Künstlers ebenso aufgegeben, wie eine
Kritik, die es auf eine doch nie zu erreichende Abgrenzung von
Marktprozessen und politischen Systemen anlegt. In Köln und Berlin werden
Bernadette Corporation ihren neuen Film „Get Rid of Yourself“ (mit Chloë
Sevigny, Giorgio Agamben und Wertner von Delmont) präsentieren, den sie bei
den Anti-Globalisierungsprotesten in Genua gedreht haben und der den
radikalen Protest zum Lifestyle erheben. In ihrem Film geht es „um das
Potential einer auf die radikale Ablehnung politischer Identität
basierenden Gemeinschaft [...], und um einen neuen Horizont, an dem sich
Ästhetik und Politik wiederfinden“.
Black Dice spielt Noise und negative Musik. Die Gruppe lebt und arbeitet
seit ein par Jahren in New York und hat sich sowohl in der Kunstwelt wie in
der Hardcore-Szene einen Namen gemacht. Ihre Konzerte können so kurz wie
melancholisch und so lang wie schmerzhaft sein. Sie umarmen den Boden in
einer Geste negativer Lebensfreude.
Mercedes Bunz lebt in Berlin, ist Herausgeberin von de:Bug - Zeitschrift
für elektronische Lebensaspekte, liebt schrecklich repetitive Musik, glaubt
daran, dass nicht die Differenz den Gegensatz voraussetzt, sondern der
Gegensatz die Differenz und promoviert deshalb zu Dekonstruktion und
Medientheorie vor dem Hintergrund des Internet an der Bauhaus-Universität
Weimar bei Joseph Vogl.
Diedrich Diederichsen war in den 80er Jahren Redakteur von
Musikzeitschriften in Hamburg und Köln, in den 90ern Hochschullehrer in
Offenbach, München, Weimar, Gießen, Bremen, Wien, Pasadena und Stuttgart.
Er lebt in Berlin und schreibt u.a. für den »Tagesspiegel«, die
»tageszeitung«, »Texte zur Kunst«, »Theater heute« und andere
Publikationen, die mit T anfangen.
Ehlers/ Hirsch/ Müller/ Weisbeck, eine Gruppe, bestehend aus dem Musiker
Ekkehard Ehlers, den Architekten Nikolaus Hirsch und Michel Müller sowie
dem Grafikdesigner Markus Weisbeck, erforscht akustische, räumliche und
grafische Notationssysteme (u.a. »Mäander« für Frequenzen/ Schirn
Kunsthalle Frankfurt). Für die »Kraft der Negation« wird eine »Intervention
entwickelt, die zwei unterschiedliche Handlungsstrukturen aufeinander
bezieht. Das in Echzeit ablaufende Programm der Veranstaltung trifft auf
die Abfolge aller militärischer Interventionen der USA im Zeitraum von 1990
bis 2000. Durch die Gegenüberstellung der zeitlichen Strukturen entsteht
eine Matrix, die im Foyer des Theaters als Display sichtbar wird und mit
akustischen und optischen Interventionen in das Programm der Veranstaltung
eingreift.
Carolin Emcke lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist politische Theoretikerin
und Journalistin, hat über kollektive Identitäten und kulturelle Rechte
gearbeitet und publiziert, und schreibt derzeit vor allem über
Menschenrechtsverletzungen und die Folgen des "Kampfs gegen den Terror" in
Pakistan, Afghanistan und Kashmir.
Andreas Fanizadeh, Journalist und Verleger. Hat in den 90ern die
Zeitschrift "Die Beute" und den ID Verlag betrieben. Mitarbeiter von die
Wochenzeitung "WoZ" in Zürich und der "Subtropen" in Berlin. Kuratiert im
März 2003 die Ausstellung "Alltag und Vergessen. Argentinien
1976/2003" in der NGbK, Berlin.
Stephan Geene und Judith Hopf. low dunkel. eine inszenierung von filmischen
+ anderen elementen über gewalt, nein + zwischenformen des lebendigen
featuring: no logo tv, BEI MIR ZU DIR, bartleby selbst wenn ich erst um
20uhr abends das sehe, was um 6 uhr morgens aufgenommen wurde, das also um
sechs uhr morgens ungefähr 30 junge männer in einer reihe stehen, in so
militärischen outfits.. und alle haben eine freundin und von diesen
freundinnen werden sie geküsst, dann ist das immer noch live, weil die
bilder, die ich da sehe, die sind echt und so haben die da geküsst und so
wurde das zu mir übertragen, halt nur später aber das ist live aber jetzt
schalte ich um, weil das nur so ein beispiel sein sollte für live-seine,
aber live küssen ist immer irgendwie peinlich und das sagen, was live ist,
ist auch peinlich…< als ich sah, dass er sein NEIN soweit vermittelt hatte,
dass es auch für ihn kaum noch vorfindbar war, dachte ich, ich red mal mit
ihm…<
Christoph Gurk ist Kurator, Übersetzer und Kritiker. In den Neunzigern war
er Chefredakteur der Zeitschrift »Spex«. Zur Zeit lebt er in Berlin, wo er
unter anderem für die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz das Musikprogramm
gestaltet.
Gintaras Makarevicius Video „The Pit“ (2000) begleitet eine Familie von
Totengräbern ? Vater, Sohn und zwei Enkel über die Jahreszeiten bei der
Ausübung ihres Berufs, dem Ausschaufeln von Gräbern. Durch den
verschwenderischen Umgang mit der Zeit untergräbt Makarevicius seinen Bezug
zu sowjetrussischen Dokumentar und Propagandafilmen. Makarevicius lebt und
arbeitet in Vilnius, Litauen .
Rahel Jaeggi hat in Berlin Philosophie studiert und war von 1996-2001
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Institut der
Goethe-Universität und am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am
Main. Arbeitsschwerpunkte: Sozialphilosophie und politische Philosophie.
Promotion zum Thema "Entfremdung"("Freiheit und Indifferenz - Versuch
einer Rekonstruktion des Entfremdungsbegriffs" - wird zur Zeit,
unterstützt von einem Stipendium der Stiftung für Wissenschaft und Kultur
am Hamburger
Institut für Sozialforschung, für die Veröffentlichung überarbeitet.)
Clemens Krümmel hat Kunstgeschichte an der Universität Bonn studiert, hat
als Volontär und Ausstellungskurator am Hagener Karl Ernst Osthaus-Museum
gearbeitet und ist seit 2000 Redakteur der Berliner Zeitschrift "Texte zur
Kunst".
Angela Melitopoulos erzählt in dem Video "Passing Drama" (1999) Geschichten
von griechischen Flüchtlingen im 20. Jahrhundert. Von den mündlichen
Überlieferungen ihrer Familie ausgehend, verweben sich die Bilder erst
allmählich zu einer Erzählung über die Vertreibung ihrer Familie aus
Kleinasien (1923) und den Fluchtversuchen ihres Vaters aus der Zwangsarbeit
in Österreich (1942). Die Flucht als Motiv der Erzählung wird in Passing
Drama zu einem filmischen Thema über Erzählung und Gedächtnis selbst.
Angela Melitopoulos ist Videokünstlerin und lebt in Köln und Paris. Sie ist
Mitgründerin der Mediengruppe Canal Déchainé in Paris (in Zusammenarbeit
mit Maurizio Lazzarato, Felix Guattari, Antonio Negri u.a.).
Eva von Platen sagt über ihre eigenen Filme, daß „sie von Absurditäten,
Banalitäten und Brutalitäten des Alltags handeln“. Man könnte sie als
surreal anmutende Karikaturen einer postfordistischen, linksliberalen
Alltagskultur bezeichnen. Auf eigensinnige Art und Weise inszeniert sie das
scheinbare Nebensächliche und skurrile Widersprüchlichkeiten. Ihr Film
“Luxus“, der eine gewisse Sommerloch Atmosphäre verbreitet, fragt in vier
Episoden nach dem, was man sich leisten kann, was man sich leisten sollte
und was man sich nicht leisten muß. Eva von Platen ist Zeichnerin und
Filmemacherin, sie lebt und arbeitet in Köln.
Stephen Prina arbeitet als Künstler und Musiker mit einem komplexen
Referenzsystem aus Filmen, Literatur, Werken Bildender Kunst und Musik von
Klassik bis Pop. Prina interessiert sich für strenge und immanente Künstler
und deren Systeme - sei es in negativer oder in autonomer Hinsicht. Seine
Bearbeitungen und Bezugnahmen auf die Arbeit von Straub/Huillet, Bresson,
Schönberg, Steely Dan, Broodthaers, Adorno und Böll folgen aber eigenen,
aus ausgeklügelten Unwiderlegbarkeiten und Zufällen zusammengesetzten
Systemen. Prina hat für seinen Film „Vinyl 2" auch eine Musik komponiert
und eingespielt, die vom Barock über den minimalistischen Drone zu einem
Pop-Song führt. Er lebt in Los Angeles und unterrichtet am Art Center
College of Design in Pasadena.
De Rijke/ De Rooij werden im Rahmen von „Die Kraft der Negation“ ihren Film
„Bantar Gebang“, 2000 zeigen. Die beiden Künstler aus Amsterdam sind
bekannt für die restriktiven Bedingungen, unter denen ihre Arbeiten zu
betrachten sind nämlich von Anfang bis zum Ende. Der 35mm Film konfrontiert
den Betrachter mit dem Bild des Sonnenaufgangs über einem Slum in Indien.
In offensichtlichem Bezug zur holländischen Landschaftsmalerei ist das Bild
des Slums zwar von einer versichernden Schönheit, die sich im Kopf des
Betrachters aber mit unangenehmen Gedanken an Postkolonialismus und
Massentourismus verbindet und ihm die Sicherheit nimmt. Mit ihren
Filmarbeiten erteilen Jeroen de Rijke und Willem de Rooij der alltäglichen
Rezeptionsbeschleunigung eine Absage.
Bojan Sarcevics Videos und Installationen drehen sich um das Moment der
Deplatzierung. In seinem Video „Remise", 1997 schlagen sich zwei junge
Männer am Rande eines Schwimmwettkampfs in offensichtlicher Mißachtung des
Ortes. Der Rhythmus der Schwimmer verwandelt den impulsiven Zweikampf
allerdings in ein autistisches Unterfangen. Bojan Sarcevic lebt und
arbeitet in Paris.
Holger Schulze hat für die UdK Berlin die Veranstaltungsreihe »soundXchange
- Werkstatt für Klang und Gestaltung« konzipiert. Seit 1998 arbeitet er an
einer Habilitation zur Heuristik von Projekten zwischen Pop, Kunst und
freier Wirtschaft. Er ist Geschäftsführer der Berliner Gesellschaft für
Neue Musik und schreibt u.a. für de:Bug, Tages-Anzeiger Zürich, Du,
Positionen.
<http://mediumflow.editthispage.com>http://mediumflow.editthispage.<http://mediumflow.editthispage.com>com
Brigitte Weingart, Literaturwissenschaftlerin, arbeitet derzeit am
Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg Medien und kulturelle
Kommunikation der Universität Köln zum Verhältnis von Text und Bild.
Demnächst erscheint ihr Buch „Ansteckende Wörter. Repräsentationen von
AIDS“, Suhrkamp 2002.
Zeitkratzer sind ein Ensemble aus Streichern, Bläsern und anderen
„konventionellen“ und zum Teil sehr namhaften Instrumentalisten, die fast
alles mit diesem Instrumentarium spielen: von neuer Musik bis House, von
Kompositionen aus dem Umfeld improvisierter Musik bis zu Feedback-Orgien.
Für die Kraft der Negation haben sie ein Programm zusammengestellt, das den
Begriff der Negation in der Musik an den verschiedensten historischen und
konzeptuellen Orten aufsucht, bei der Musica Negativa in der neuen Musik,
wie sie einst Helmut Lachenmann zugeschrieben wurde, bei stiller Musik, bei
brachialem Death Metal, den Feedback-Orgien, die Lou Reed einst dem
Amphetamin widmete und bei gruseliger Industrial-Musique-Concrete von
Throbbing Gristle, die die Leiden von Krankenhausopfern an analoge
Synthesizer anzuschließen versuchte.
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rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/
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